Die Klasse 6a hat in den vergangenen Wochen interessiert und empathisch mitverfolgt, was an den europäischen Außengrenzen vorgeht. Sie hat Geld gesammelt, um die Arbeit von Freiwilligen in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze zu unterstützen. Damit hat sie eine Suppenküche und Angebote für flüchtende Kinder vor Ort gefördert.
Leoni Schlender, die im März in Idomeni war, hat die Klasse besucht, um ihre Erfahrungen zu teilen. Im Folgenden einige Fragen, auf die sie auch im Gespräch mit der Klasse eingegangen ist.
Was war Deine persönliche Motivation, so ein Abenteuer auf Dich zu nehmen?
Ich fühlte mich angesichts der aktuellen politischen Lage ohnmächtig und verzweifelt und wollte diese negativen Gefühle in Konstruktives Handeln wandeln.
Wie ist die Lage in Bezug auf Sanitär- und gesundheitliche Versorgung?
Der Alltag in Idomeni ist geprägt vom Schlange-Stehen. Für eine Dusche werden mehrere Stunden Wartezeit eingeplant. Bei der medizinischen Behandlung kümmern sich die Ärzte ohne Grenzen nur um akute Fälle. Es gibt außerdem verschiedene unabhängige und wechselnde Ärzt*innen-Teams, für die ebenso lange Wartezeiten nötig sind.
Wie war Dein Alltag vor Ort? Gab es geregelte Tagesabläufe?
Jeden Tag wurde Gemüse in großen Mengen geschnippelt und in riesigen Töpfen mit einer Art Paddel gerührt. Nachmittags transportierten wir das Essen ins Camp, wo uns viele Flüchtende bei der Essensausgabe halfen. So entstand Routine und erstaunlich schnell wurde der Anblick der katastrophalen Zustände im Camp Gewohnheit.
Was kannst Du über die Menschen dort berichten?
Meine Zeit in Idomeni war geprägt von vielen schönen Begegnungen und verschiedenen Schicksalen. Jede und jeder mit eigenen Fluchtgeschichten und –motiven. Sie sind aus der Not aufgebrochen und nun gezwungen, in unwürdigen Umständen zu verharren. Viele sind enttäuscht und versuchen nun, ihre besten Möglichkeiten abzuwägen. Einige sind aus den organisierten Militärcamps wieder zurück gekehrt, weil dort die Bedingungen nicht besser waren. Andere machen sich auf nach Athen, um sich dort für das Relocation Programm registrieren zu lassen.
Wie hast Du die Umschwünge von Hoffnung zu Enttäuschung erlebt?
Als ich in Idomeni ankam, war die Schließung der Balkanroute noch frisch. Einige Tage lang durften Menschen schubweise passieren. Die Hoffnung war noch groß, dass die Grenze bald wieder geöffnet würde. Viele konnten nicht fassen, dass es dort kein Weiterkommen mehr geben sollte. Die gemeinsame Grenzüberquerung „march of hope“ fachte nach etwa zwei Wochen geschlossener Grenze neue Hoffnung an. In ihrer Ausweglosigkeit waren die Menschen froh über diese vage Aussicht. Natürlich waren Enttäuschung und Frust am Folgetag groß, doch schon bald wurde über den kommenden EU-Gipfel spekuliert. Ich habe Menschen erlebt, die wissen, was Flucht bedeutet und den Blick immer wieder nach vorne richteten.
Gab es Konflikte zwischen Gruppen verschiedener Nationalitäten/Kulturen etc.?
Phasenweise war die Stimmung im Camp sehr angespannt und hat sich in Ausschreitung zwischen verschiedenen Nationalitäten entladen. Oft habe ich Pauschalurteile über Menschen anderer Nationen gehört. Sicher werden diese Konflikte auch dadurch geschürt, dass die EU in der Behandlung der Flüchtenden nach Nationalitäten vorsortiert, so dass bspw. Pakistani oder Menschen aus Nordafrika als „Wirtschaftsflüchtlinge“ Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt sind. Umso wichtiger werden in Anbetracht der angespannten Lage Beschäftigungsangebote für die wartenden Menschen.
Wie waren die Reaktionen auf Dich und darauf, dass Du aus Deutschland kommst?
Die Menschen reagierten oft mit Bewunderung und verträumten Gesichtern. Viele waren dankbar und neugierig zu erfahren, woher ich kam. Oft hatten sie schon genaue Vorstellungen von verschiedenen deutschen Städten oder erzählten von Bekannten/Familienagehörigen, die sie in Deutschland haben. Ich fühlte mich oft unwohl als Repräsentantin von einem Land, nach dem sich viele sehnten, welches für mich aber geprägt ist von dem Aufschwung der AfD, von Merkels „spürbarer Reduzierung der Flüchtlingszahlen“ und der immer weiter fortschreitenden gesellschaftlichen Polarisierung.
Hast Du Bekanntschaften gemacht/Freunde gefunden, die über Deinen Aufenthalt hinausgehen?
Die gemeinsame Arbeit, das gegenseitige Interesse und wahrscheinlich auch die Extremsituation, die das Camp darstellt, ließen Beziehungen schnell sehr intensiv werden.
Ich habe Freunde gefunden, fühlte mich mit den Menschen auf einer Augenhöhe. Wir haben viel geteilt. Umso schwerer war deshalb der Abschied, als plötzlich der künstliche Unterschied, verkörpert durch meinen Reisepass, so greifbar wurde. Absurd schien es mir dann, über sämtliche Grenzen problemlos nach Deutschland zu reisen.
Was nimmst Du für dich mit? Welchen Wert hatte diese Arbeit für Dich?
Die tiefe Erfahrung, dass alle Menschen im Grunde gleich sind, ist sehr prägend für mich. Nach diesen Wochen, in denen ich mich kaum von den Menschen abgrenzen konnte, die solches Leid erfahren. Doch während der Arbeit vor Ort hatte ich immer wieder Momente, in denen ich an der Sinn-haftigkeit zweifelte und mich über die reine Symptombekämpfung, die wir betrieben, ärgerte. Warum half ich einen Ort zu verschönern, an dem niemand bleiben wollte? Was wünsche ich mir für die Menschen wirklich? Schon in Idomeni freute ich mich deshalb darauf, mich in Deutschland aktiver in politischer Bildungsarbeit zu engagieren, um an der Gestaltung einer offeneren, toleranteren und moderneren Gesellschaft mitzuwirken.
Was sagst Du zur Politik der Europäischen Union?
Ich hatte die politischen Entscheidungen der letzten Wochen nie für möglich gehalten. Mich erschreckt, dass ein Aufschrei nach der „Lösung“ ausblieb, die Massenabschiebungen in die Türkei und die dortige willkürliche Behandlung der Flüchtenden begünstigt. Es macht mich traurig, dass die politische Debatte selbst in Deutschland dominiert wird von Angst und Nationalismus.
Es stimmt meiner Meinung nach nicht, dass Menschen sich motiviert durch europäische Sozialversprechen auf den Weg machen und ich denke, dass die derzeitige Abschottung Europas nur dazu beiträgt, dass Wege riskanter und für Schmuggler lukrativer werden. Einen humaneren Ansatz sehe ich in der Schaffung legaler Fluchtwege, motivierter Integrationspolitik und einer gesellschaftlichen Debatte, die sich nicht um Obergrenzen dreht, sondern soziale Verantwortung und Toleranz ins Auge fasst.
Was können die Kids hier in Deutschland machen, um sich zu engagieren?
Ich denke, am wichtigsten ist es für alle, miteinander in Begegnung zu treten. Es ist eine tolle Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler von der Engelsburg, mit Geflüchteten in Kontakt zu treten, Freizeitangebote mit zu organisieren oder Deutschunterricht zu geben. Wendet Euch dafür an Asylunterkünfte in Eurer Nähe oder verschafft Euch auf der Seite www.fluechtlingshilfe-kassel.de einen Überblick über Bedarf und Neuigkeiten.