1200 Schüler und Lehrer der Engelsburg folgen den Spuren der Ordensgründerin in der Normandie
„Kommt bitte alle durch den Torbogen weiter nach vorne. Dann haben die anderen aus dem nächsten Bus noch genug Platz hinter Euch.“ Generaloberin Schwester Maria Thoma Dikow dirigiert die ersten vier Klassen des Engelsburg-Gymnasiums durch die Pforte der Abtei St. Sauveur-le-Vicomte. Fünf Tage lang begeben sich 1200 Schüler, Lehrer und Mitarbeiter des Kasseler Gymnasiums in dieser Woche auf die Spuren der heiligen Maria Magdalena Postel. Das „Mutterhaus“, das die Ordensgründerin vor knapp 200 Jahren aufgebaut hat, gehört dabei zum Pflichtprogramm.
Natürlich kommen nicht alle auf einmal, sondern aufgeteilt in sechs Gruppen zu rund 200 Schülern und Lehrern. Sechs deutsche Ordensschwestern empfangen die Klassen und Kurse in Saint-Sauveur-le-Vicomte und in dem Hafenstädtchen Barfleur, dem Geburtsort Maria Magdalena Postels.
Ausgefeilter Zeitplan
Der Zeitplan wurde akribisch ausgearbeitet. Überhaupt ist die ganze Organisation der Fahrt eine logistische Herausforderung. „Anlässlich des 125-jährigen Bestehens unserer Schule haben wir schon vor zwei Jahren mit den Planungen begonnen und im vergangenen Sommer mit dem Vorbereitungsteam eine Tour hierher gemacht“, erklärt Schulleiter Dieter Sommer. Die Firma Höffmann-Schulreisen, die auf solche Fahrten spezialisiert ist, stellte nicht nur 23 Busse und Fahrer, sondern auch ein Team von ebenso vielen Busbetreuern und zehn weitere Mitarbeiter bereit. Auch drei Ärzte gehören zum Stab. Und Junior-Chef Andreas Höffmann ist in dieser Woche ebenfalls vor Ort. Er wirkt zufrieden: „Die Gruppe ist sehr angenehm, das Gymnasium gut organisiert.“ Er kann das beurteilen, denn: „Unsere Firma hat schon 400.000 Jugendliche auf Reisen begleitet und wieder gut nach Hause gebracht.“
Für die Engelburg ist diese Fahrt der Höhepunkt in ihrem Jubiläumsjahr. Und auch die Schüler sind begeistert. „Schon eine coole Sache“, finden die Siebtklässlerinnen Carolin, Alexandra, Charlotte und Anne Lucia schon direkt nach der Ankunft in dem Feriendorf „Normandy Garden“ am frühen Montagmorgen. Da mussten sich die 23 Busse erst einmal sortieren, ehe die Klassen und Jahrgangsstufen aussteigen durften. Mitarbeiter von Höffmann-Schulreisen und der Ferienanlage halfen ihnen dann bei der Suche nach den richtigen Häusern. Als die vier Freundinnen aus der 7a am Haus 101 ankommen, stellen sie allerdings fest, dass ihr Schlüssel die Nummer 151 hat. Und es geht wieder quer durch das Gelände zurück. Trotz durchfahrener Nacht und wenig Schlaf bleiben sie gut gelaunt. Und als sie die Tür des Ferienhauses aufschließen, sind sie begeistert. „Guck mal, wir haben sogar eine Küche!“
Kochen aber müssen die 1200 Schüler und Lehrer in diesen Tagen nicht. Sie werden in einer umfunktionierten Tennishalle verpflegt. Dort sind lange Tischreihen mit weißen Papierdecken und 660 Gartenstühle aufgebaut. Als die Schüler ihr Gepäck abgeladen haben, dürfen sie sich hier erst einmal stärken. Es gibt Frikadellen und Kartoffelsalat.
Um 16.30 Uhr versammelt sich die ganze Schulgemeinschaft dann zum Auftaktgottesdienst in der Sporthalle. Die über 1000 Schüler tragen ihre blauen Engelsburg-T-Shirts: Dicht gedrängt sitzen und knien sie auf dem grauen Fliesboden, der in der Halle ausgerollt wurde. In ihren Händen halten sie das grüne, eigens für diese Reise zusammengestellte Pilgerheft.
„Ein tolles Bild“
„Ihr müsstet mal sehen, was für ein tolles Bild das von hier vorne ist“, sagt Schulseelsorger Ottmar Leibold. Und schon in diesem Augenblick erinnert er an das Leben der heiligen Maria Magdalena Postel, auf deren Spuren sich die Klassen und Kurse in den nächsten Tagen begeben: „Sie war 25 Jahre lang unterwegs. Immer wieder schien ihr Vorhaben, sich mit ihrer kleinen Gemeinschaft für andere einzusetzen, zum Scheitern verurteilt. Aber ihr Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, sich zu ‚ver-gemeinschaften’.“
Am nächsten Tag machen sich die ersten Gruppen in den Bussen auf den Weg, um die Ursprungsorte der Ordensgemeinschaft kennenzulernen. Dass sie in der Abtei, die bis heute Mutterhaus der eigenständigen französischen Kongregation ist, von deutschen Ordensschwestern empfangen werden, überrascht die Schüler: „Ich finde schon toll, dass die sich extra aus Bestwig und Heiligenstadt für uns auf den Weg hierher gemacht haben“, sagt Lukas Appel aus der Klasse 9d. Und auch die großzügige Anlage des Klosters beeindruckt ihn.
Noch mehr aber fesseln die Jugendlichen die Vorträge der Ordensfrauen. In der Abteikirche macht Generalsekretärin Schwester Theresia Lehmeier den Schülern klar, dass Maria Magdalena Postel bei ihrer Ankunft in Saint-Sauveur-le-Vicomte mit sechs Mitschwestern im Jahr 1832 lediglich die Ruine einer ehemaligen, um die erste Jahrtausendwende errichteten Benediktinerabtei vorfand. „Mit Gottvertrauen ging sie selbst, bereits 76-jährig, daran, diese Ruine wieder aufzubauen.“ Zunächst wurden nur zwei Seitenschiffe zur Kapelle ausgebaut. Doch die Gemeinschaft wuchs in den kommenden Jahren so schnell, dass bald schon die ganze Kirche benötigt wurde. Deren Vollendung erlebte die Gründerin selbst nicht mehr mit.
Deutsche setzten Abtei in Brand
Zwei Räume weiter erfahren die Schüler von Schwester Adelgundis Pastusiak, dass die wechselvolle Geschichte der Kirche damit noch längst nicht zu Ende ist: „Denn es waren die Deutschen, die die Abtei kurz vor Kriegsende, als die Alliierten die Region zurückeroberten, in Brand setzen. Sie hatten hier Truppen stationiert. Und wieder war die Abtei eine Ruine.“
In Anbetracht der vielen Kriege, die diese beiden Länder bis 1945 gegeneinander geführt haben und die auch zur Trennung der beiden Ordensgemeinschaften führten, sei es daher nicht selbstverständlich, dass hier heute wieder deutsche Schüler ein- und ausgingen. „Aber auch die beiden Gemeinschaften haben sich schon seit Jahrzehnten wieder angefreundet“, erklärt Schwester Adelgundis.
Die Neuntklässler, die an diesem Vormittag in der Abtei sind, folgen den Vorträgen aufmerksam. „Man merkt den Schwestern an, wie sehr sie sich für ihre Gründerin begeistern und wie überzeugt sie von dem sind, was sie geleistet hat“, sagt die 13-jährige Antonia Gutmann.
Im Unterricht auf die Reise vorbereitet
Im Geschichtsunterricht und im Religionsunterricht hatten sich die Engelsburg-Schüler schon in den Wochen davor mit Maria Magdalena Postel beschäftigt. Felix Hessenmöller hat mit seinem Religionskurs beispielsweise ein Rollenspiel zu Maria Magdalena Postel vorbereitet: „Dabei wollen wir sie in die Gegenwart holen. Zum Beispiel haben wir uns gefragt, was sie heute zu der Aufnahme von Flüchtlingen sagen würde.“ Fertig geworden ist das Rollenspiel vor der Abreise in die Normandie noch nicht.
Die Antwort erfahren die Schüler aber vielleicht schon am selben Nachmittag in dem Fischerörtchen Barfleur, eine halbe Stunde Busfahrt von Saint-Sauveur-le-Vicomte entfernt. Dort steigt Schwester Gratia Feldmann auf einen Stuhl. Hinter ihr liegt das Haus, in dem Maria Magdalena Postel während der Französischen Revolution gelebt hat. „Hier versteckte sie das Allerheiligste, um Kranken heimlich die Kommunion zu bringen. Und von hier aus verhalf sie Priestern zur Flucht nach England, da sie in Frankreich verfolgt wurden“, berichtet Schwester Gratia. Die Zahl der Fische, die ihr ein Fischer mitbrachte, habe die Uhrzeit verraten, wann sie den nächsten Priester zum Hafen schicken sollte. „Das ist schon ziemlich beeindruckend“, meint Felix Hessenmöller.
Dicht gedrängt schieben sich die Schülergruppen anschließend durch das Wohnhaus, in dem heute noch ein französischer Schwesternkonvent viele Gäste empfängt. Danach gehen sie in die benachbarte Kirche La Bretonne, deren Glasfenster das Leben der Ordensgründerin in 23 Motiven zeigen. Hier erzählt Schwester Maria Simone Hellbach, auf einer Kirchenbank stehend, mehr vom Leben der Heiligen. Und auf der anderen Seite des idyllischen Hafenbeckens wartet Schwester Theresita Maria Müller in der Taufkirche der Ordensgründerin auf die Engelsburg-Schüler.
Über ihr fällt das Sonnenlicht durch ein Fenster, das Maria Magdalena Postel über der Silhouette des Städtchens zeigt. „Der Ort ist im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden. Die Bevölkerung hat das damals ihrer Patronin zugeschrieben“, erklärt die Ordensschwester. Die Heilige ist hier bekannt und allgegenwärtig. Das offizielle Programm endet in der Kirche mit einem Vater Unser, bevor die Schüler in das Dorf und an die felsige Küste ausschwärmen. Jetzt brauchen sie Auslauf und Bewegung.
Derweil wird im Feriendorf schon fleißig gekocht. Ab 18.30 Uhr kommen die Gruppen nach und nach zur Unterkunft zurück. In mehreren Schichten gehen sie zum Essen. Es gibt Burgunderbraten mit Nudeln. 78 Vegetarier bekommen ein anderes Gericht. Auch für Veganer und Allergiker sorgt das Feriendorf. Am ersten Abend hatte das Küchenteam mit dieser Anforderung noch etwas zu kämpfen. Jetzt scheint alles zu funktionieren. So klingt der erste Tag allmählich aus.
Amerikanischer Soldatenfriedhof
Am Mittwoch folgt für die neunten Klassen Kontrastprogramm: Eine Fahrt zum amerikanischen Soldatenfriedhof in der Nähe von Omaha Beach. Die Schülerinnen und Schüler werden mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, dessen Ende mit der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie begann. Am Donnerstag fahren sie noch zum Mont St. Michel.
So gibt es für alle Altersgruppen in vielen Modulen unterschiedliche Programmpunkte. Vorbereitet und geplant wurden die von einem gemeinsamen Team aus Lehrern, Schülern und den Experten der Firma Höffmann-Schulreisen. „Im vergangenen Jahr hatten wir eine Vortour gemacht, uns vieles angesehen und daraufhin Ideen entwickelt“, blickt Schülersprecher Benedict Freund zurück. Er ist erleichtert und glücklich, dass jetzt alles so gut läuft: „Wir erleben auch, dass die verschiedenen Altersstufen vieles gemeinsam unternehmen. Das stärkt die ganze Schulgemeinschaft.“
Ver-Gemeinschaftung im Sinne der Ordensgründerin Maria Magdalena Postel: Sicher wird Schulseelsorger Ottmar Leibold diesen Gedanken auch beim Abschlussgottesdienst am Donnerstagabend noch einmal aufgreifen – bevor es am Freitag wieder nach Hause geht.
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