Vor einem interessierten und diskussionsfreudigen Publikum entfaltete der bekannte Anthropologe Volker Sommer seine Theorie von der Lüge als „Wetzstein der Intelligenz“. Anhand vieler Beispiele veranschaulichte er, dass nicht nur der Mensch zum kreativen Umgang mit der Wahrheit in der Lage ist. Auch die Primaten kennen es – täuschendes Verhalten zum eigenen Vorteil, manchmal geradezu mit Hinterlist. Doch was folgt daraus?
Zumindest legt es nahe, dass solche Menschenaffen eine spezielle kognitive Fähigkeit haben, die man braucht, um erfolgreich zu „lügen“: Sie können sich in andere hineinversetzen, quasi „Gedanken lesen“ – eine Fähigkeit, die, so Sommers Theorie, einen evolutionären Vorteil birgt. In der Entwicklung des Menschen hat diese vielleicht sogar die Entwicklung des Großhirns begünstigt. Die Lüge bzw. Täuschung als raffiniertes Instrument, das eine spezielle Intelligenz voraussetzt und auch fördert?
Der Mensch hat sie wahrhaft gut ausgebildet, die „Machiavellistische Intelligenz“: „Man muss nicht tugendhaft sein, es genügt, so zu erscheinen.“ Die kognitive Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, kann aber auch zu Empathie, Mitgefühl und Mitleid führen, was für die Entwicklung der Spezies auch wieder einen Vorteil bringen kann.
Nach dem äußerst anschaulichen und unterhaltsamen Vortrag gab es eine angeregte Diskussion: Wie sicher sind die Erkenntnisse der evolutionären Anthropologie? Haben die evolutionären Erklärungsweisen Konsequenzen für unsere Ethik? Wie lässt sich eine Grenze ziehen zwischen Tier und Mensch? Volker Sommer gab sehr persönliche Anworten und sprach als „bekennender Menschenaffe“ auch von seinem Projekt, für bestimmte Menschenaffen Grundrechte zu erwirken – aber auch die Schwierigkeiten einer Grenzziehung räumte er ein. Ein äußerst interessanter Abend.
Angela Reiss
Volker Sommer lehrt evolutionäre Anthropologie am University College London. In Asien und Afrika betreibt er Feldforschung zum Verhalten von Affen und Menschenaffen. Einer breiten Öffentlichkeit ist er durch Radio- und Fernsehbeiträge sowie zahlreiche Bücher zu darwinischen Themen bekannt, z.B. „Lob der Lüge“, „Darwinisch denken“ und „Schimpansenland“.