Endlich konnte dieses Jahr nach zweijähriger Coronapause wieder der Begabtentag Kassel stattfinden! 27 Schüler:innen aus neun Gütesiegelschulen für Begabungsförderung des Stadt- und Landkreises Kassel wurden gemeinsam mit ihren schulischen Betreuer:innen eingeladen, am 7./ 8. November im Sara-Nussbaum-Zentrum und im Stadtmuseum Kassel einen Einblick in das jüdische Alltagsleben von damals und heute in unserer Region zu erhalten.
Der Startschuss in den ersten Tag erfolgte durch Boris Reichenbach (SSA Kassel), der sich erfreut darüber äußerte, dass mit Hilfe einer solchen Veranstaltung die Vernetzung von Schülerinnen und Schülern der beteiligten Schulen initiiert und damit, nicht zuletzt im Hinblick auf die aktuelle politische Lage, zum friedlichen Miteinander der Völkergemeinschaft beigetragen werde.
Auf fesselnde Art und Weise wurden die Jugendlichen von Elena Padva, der Leiterin des Sara-Nussbaum-Zentrums, mit der Entstehungsgeschichte des Judentums und dem jüdischen Leben vertraut gemacht. „Freu dich an deinem Leben!“ ist dabei die Philosophie des jüdischen Glaubens, mit der Padva in ihren energiegeladenen Impulsvortrag einstieg, aber dabei auch nicht unerwähnt ließ, dass dieses Credo auch mit Blick auf die Vergangenheit nicht immer leicht umzusetzen sei. Welchen verbalen, aber auch physischen Übergriffen eine Jüdin oder ein Jude auch heutzutage noch ausgesetzt sein kann, machte die Dauerausstellung über entsprechende Hass-Bilder und -Zitate der letzten sieben Jahre mehr als deutlich.
Durch „Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wird“, leitete sie ihren Dialog mit den Jugendlichen ein, in dem sich mit vielen Fragen und Antworten das hohe Interesse aller Beteiligten zeigte. Auch die gitarrenbegleitete Gesangseinlage im Anschluss sorgte vor allem wegen Elena Padvas melodischer Stimme für einen Moment der Gänsehaut und machte erneut sehr lebendig deutlich, wie Riten und Bräuche im Judentum zelebriert werden.
Ein Rundgang durch die Dauerausstellung im Stadtmuseum, die sich den wichtigsten Epochen des jüdischen Lebens in Kassel während des Mittelalters sowie des 19. und 20. Jahrhunderts widmet, vertiefte das zu Beginn erworbene Wissen. Mit dem sich anschließenden Film „Masel Tov Cocktail“, der mit bissigem Humor („There‘s no bigger business than Shoa-business“) die Identitätskrise eines jüdischen Jugendlichen herausragend erzählte, setzten sich die Schülerinnen und Schüler dann in schulübergreifenden Kleingruppen auseinander.
Am Nachmittag brachten Elena Padva und Attila Günaydin (Selam & Shalom), der das traditionelle Saiteninstrument Baglama spielte, den Teilnehmenden jüdische Musik und Tanz näher. Schon nach wenigen Augenblicken konnte man das Gemeinschaftsgefühl und die Lebensfreude durch das gemeinsame Singen und Tanzen deutlich spüren. Zum Ausklang des Tages hielten die Jugendlichen ihre Impressionen des ersten Tages in einem filmischen Kurzbeitrag fest.
Am Dienstag konnten alle – souverän begleitet von Frau Goebel und ihrer Praktikantin – durch die Dauerausstellung des Stadtmuseums streifen und diese im Hinblick auf zwei Schwerpunkte („Verfolgung der Juden in Kassel“ sowie „Bekannte jüdische Persönlichkeiten Kassels“) erkunden. In schulübergreifenden Gruppen bereiteten die Jugendlich danach gemeinsam jeweils eine der Stationen des späteren „Stadtspaziergangs“ vor. So wurden unter anderem zentrale Themen wie die Bücherverbrennung auf dem Friedrichsplatz im Mai 1933, die „Arisierung“ jüdischer Geschäfte am Beispiel des Königsplatzes, und der Kasseler Hauptbahnhof als Gedächtnisort der Judendeportationen vom Winter 1941 und Sommer 1942 eindrucksvoll an den jeweiligen Stationen des Spazierganges von den Jugendlichen referiert.
Im Anschluss an die improvisierte Mittagspause mit wohlschmeckender Falafel- oder Dönertasche aus dem Cult ging es dann weiter zum Besuch der Kasseler Synagoge. Dort gab Alexander Katz vom Sara-Nussbaum-Zentrum neben zentralen Themen wie Rassismus und Antisemitismus einen anschaulichen Einblick in wichtige Praktiken innerhalb der jüdischen Gemeinde und vermittelte Wissen über das Judentum. So erfuhren die Teilnehmenden z.B., dass ein Rabbiner einen Bachelor benötigt, ein Toraschreiber dagegen einen Masterstudiengang absolvieren muss. Von Wichtigkeit für die Besucherinnen und Besucher war sicherlich auch die jüdische Maxime, für eigene Taten geradezustehen und dass nur derjenige, dem man etwas angetan habe, einem vergeben könne. Außerdem hob Katz die Bedeutung des Lebens hervor: Alles sei erlaubt, um Leben zu retten, sodass inzwischen z.B. auch das den Juden früher verbotene Blutspenden zulässig sei. Gepaart mit jüdischem Humor beantwortete Alexander Katz unterhaltsam und kompetent die nicht enden wollenden Fragen der anwesenden Jugendlichen. Zusätzlich konnten auch bereits am Vortag erwähnte Gegenstände nun live in der Synagoge erlebt werden. Besonders eindrucksvoll war hierbei die 35 kg schwere Tora, für deren Transport allein schon fünf Personen erforderlich sind.
Nach dem wahren Feuerwerk aus Fragen endete der Begabtentag 2022 mit der Verteilung der Teilnahmebescheinigungen und einem digitalen Feedback, welches mit durchschnittlich vier von fünf Sternen die große Zufriedenheit der Teilnehmenden mit der Veranstaltung deutlich zum Ausdruck brachte. Wenn eines nachdrücklich an diesen zwei Tagen deutlich geworden ist, dann sicherlich das, was eine der Antworten auf die Evaluationsfrage „Was nehmen Sie persönlich aus diesem Tag mit?“ zum Ausdruck brachte:
„Man sollte sich auf ein Thema erst bedingungslos einlassen, um es richtig verstehen und sich eine Meinung darüber bilden zu können.”