Außerschulisches Leben und Lernen – auf Gut Kragenhof
„Mut zur Veränderung“ hatten wir vor einigen Jahren auf ein Arbeitspapier für die beschlussfähige Konferenz des Engelsburg-Gymnasiums geschrieben. Eine deutliche Mehrheit der LehrerInnen zeigte damals diesen Mut zur Veränderung und ermöglichte damit die Umsetzung des „Außerschulischen Lebens und Lernens“, einem tendenziell reformpädagogischen und erlebnisorientierten Schulprojekt der Engelsburg.
Die Gründe für den Einstieg in dieses anfängliche Abenteuer sind und waren vielfältig.
Ausgehend von einer lange schon anhaltenden Wertediskussion an unserer Schule wollten wir in medias res gehen und theoretischen Exkursen Taten folgen lassen, die sich in den nachstehenden Facetten widerspiegeln:
- dem praktischen Erleben und Erlernen des Zusammenlebens in der eigenen Klassengemeinschaft
- der Übernahme von Verantwortung
- dem ganzheitlichen Lernen in einem ansprechenden und gänzlich anderen Lernumfeld
- dem Gewinnen von Zeit für Begegnungen
- dem Betätigen aller Sinne
- der Bewegung und dem Sport in der Natur
- dem Finden von Ruhe in einer zunehmend unruhigeren Lebenswelt
- der Auseinandersetzung mit den Themen Ernährung und Hauswirtschaft
- dem Begreifen des Sinns und Zwecks selbständigen Handelns
- dem Annehmen und Meistern handwerklicher und künstlerisch-gestalterischer Herausforderungen unter der Anleitung externer Fachleute
- der Gestaltung eines Gottesdienstes
- dem Verzicht auf moderne Kommunikationsmittel
Zwölf Tage und Nächte zusammen leben und für alle anfallenden Aufgaben selbst verantwortlich sein, sich an Regeln und Vereinbarungen halten und das Lernen z.B. am Fluss oder im Wald einmal anders wahrzunehmen als im Klassenraum, sind wichtige Eckpfeiler des Projektes. Die LehrerInnen haben hier die Möglichkeit, anders zu unterrichten: handlungsorientiert, ohne Stundentaktung, mit vielen Gestaltungsfreiräumen. Die KlassenlehrerInnen sind für diesen ungewohnt langen Zeitraum permanenter Ansprechpartner ihrer SchülerInnen.
In diversen handwerklichen und künstlerisch-gestalterischen Projekten lernen Schülerinnen und Schüler von externen Fachleuten (wie z.B. Schauspielern, Schreinern, Goldschmieden oder Fotografen) praxisnähere Fertigkeiten kennen, als die Schule sie häufig ermöglichen kann.
Ganz ohne moderne Kommunikationsmittel zücken sie für diesen Zeitraum Stift und Briefpapier, um Kontakt zu Eltern und Freunden zu halten. Viel Bewegung und gemeinsame Freizeit im Klassenverband sowie Phasen der Besinnung und des Schweigens werden zur gemeinsamen Herausforderung.
Alle Klassen der Jahrgangsstufe 8 verbringen seit 2010 zwölf Tage auf dem Kragenhof, zusammen mit ihren jeweiligen KlassenlehrernInnen, unserer Sozialpädagogin und zwei Lehramts- bzw. PädagogikstudentenInnen.
Die Engelsburg – ein Gymnasium in christlicher Trägerschaft – setzt mit diesem Konzept bewusst einen Kontrapunkt.
Das Leitungsteam besteht aus Saskia Köhler, Jan Halm und Lisa Döring.
Engelsburg-Gymnasium Kassel
Richardweg 3
34117 Kassel
Telefon Zentrale 0561-78967-0
schulsozialarbeit(at)smmp-eb.de
Wir suchen Praktikantinnen und Praktikanten: Interessierte Studierende aus allen pädagogischen Studiengängen (z.B. Lehramt, Soziale Arbeit, Erziehungswissenschaften)!
Rückmeldung eines Schülers:
Wir sind gewachsen
So ganz genau wusste wohl niemand, was uns, das sind die Klasse 8a samt Klassenlehrerin Johanna Alainis, die Sozialpädagogin Saskia Köhler und die Praktikanten Anna Maicher und Wolfgang Mletzko, in den 12 Tagen auf dem Gut Kragenhof erwarten würde. Am 03.09.2012 begann für uns das Projekt „Außerschulisches Leben und Lernen“ und zu Beginn stand nur fest, dass dies für uns alle eine Zeit der Herausforderungen wird.
Ob es nun der tägliche Frühsport, das Übernehmen und Organisieren von Diensten, die Arbeit in den Projekten, die Tatsache, 12 Tage mit 32 anderen Menschen zusammenzuleben oder eine von vielen anderen Herausforderungen war – jeder musste sich seinen persönlichen Aufgaben und Problemen stellen und gemeinsam haben wir sie bewältigen können. Und: Wir sind daran gewachsen! Sowohl jeder für sich, als auch wir als Gemeinschaft.
Jeden Tag durften wir Veränderungen und Fortschritte erleben und gemeinsam feiern. Jeden Tag haben wir uns den Aufgaben gestellt, und am Ende war es eine ganz wunderbare und erfüllte Zeit. Natürlich gab es auch mal Rückschläge und schwere Stunden, aber die gehören zum Wachsen und Erwachsen werden nun mal dazu.
Alles in allem war das Projekt aber ein voller Erfolg und davon durften sich auch die Eltern der Schülerinnen und Schüler der Klasse 8a am letzten Tag, an dem wir die Früchte der Projektarbeiten präsentiert haben, überzeugen. An dieser Stelle noch mal ein riesiges Dankeschön an unsere Honorarkräfte, die zu einem großen Teil zum Erfolg des Projektes beigetragen haben: Der Umweltpädagoge Gerd Greskamp, der Schauspieler Franz Josef Strohmeier und die Goldschmiedin Jennicke Strathmann. Sie haben mit viel Hingabe die Arbeit in den einzelnen Projekten angeleitet und geholfen, die Präsentationen vorzubereiten.
Die Zeit auf dem Gut Kragenhof hat an uns und in unseren Köpfen viele Spuren hinterlassen. Und natürlich haben auch wir gemeinsam etwas Bleibendes geschaffen, was wir sowohl an uns und der Klassengemeinschaft spüren, aber auch auf dem Kragenhof tatsächlich sehen können. Seit unserem letzten Tag, und auch noch in ferner Zukunft, steht ein von uns gepflanzter Baum auf dem Gut Kragenhof. Und, so wie wir, wird er stetig weiter wachsen und, so wie wir, wird er an diese Zeit erinnern.
Ein Schüler der Klasse 8d
Rückmeldung eines Vaters 1
Als das Projekt Kragenhof vor fast 1 ½ Jahren auf einem Elternabend vorgestellt wurde, war ich spontan begeistert. Viel wurde zu der Zeit diskutiert über andere Lernformen, außerschulische Projekte, über den Mangel an Herausforderungen, denen sich junge Menschen heutzutage stellen müssen. In den Medien fanden sich haufenweise Berichte über Projekte die an anderen Schulen stattfanden. Das meiste davon fand ich richtig, dachte, es wäre schön so etwas an der Engelsburg zu haben, und dann kam Herr Glebe als damaliger Klassenlehrer mit der Vorstellung dieses Projekts. Toll! Kurz nach den Sommerferien kam dann die Entscheidung, es wird was, und unsere Tochter Nele gehört zur zweiten Gruppe, die im Herbst schon fahren konnte. Die konzeptionellen Gedanken, die sich die Lehr- und Hilfskräfte gemacht haben, die Struktur der Tage und des Unterrichts, waren sehr gut und klangen vielversprechend. Als ich während des Aufenthalts der Klasse einmal kurz auf dem Kragenhof war, um dort benötigte Elternspenden hinzubringen, fand ich eine wundervolle, friedliche und entspannte Stimmung vor. Eine Gruppe war im Wald unterwegs, eine beschäftigte sich mit ägyptischer Malerei, eine dritte werkelte an einem Floß herum, und alle wirkten richtig glücklich und entspannt. Die Wiederentdeckung einer alten Kulturtechnik, nämlich das Briefeschreiben, war ein weiterer großer Pluspunkt. Es war wunderbar, jeden zweiten Tag einen Brief von Nele zu bekommen, und es war genauso wunderbar, unsere Tochter mit Briefen über das Familienleben auf dem Laufenden zu halten. Die Kinder sind, das muss man so sagen, jedes für sich, aber auch als Gruppe enorm gewachsen. Sie haben sicherlich in den zwei Wochen mehr „fürs Leben“ gelernt als in zwei Wochen „normalem“ Unterricht oder einer Woche Klassenfahrt.
Ein großes Dankeschön an die Lehrkräfte, die mit großer Beharrlichkeit das Projekt verfolgt und letztlich zum Erfolg geführt haben! Und dieser wundervolle Ort bietet noch viele Möglichkeiten der Nutzung und Weiterentwicklung des Projekts.
Peter Unger
P.S.: Als wir nach einem Ort für unser jährliches Sommerfest suchten und die Schüler nach ihren Wünschen fragten, war die einhellige Meinung: Kragenhof! Was will man mehr!
Rückmeldung eines Vaters 2:
Kragenhof – Schatz im Acker und Projekt mit Perspektive
Die wesentliche Erkenntnis ist erst einmal keine neue: Gemeinsame Fahrten tun einer Klassengemeinschaft gut. Tagelang nahezu rund um die Uhr zusammen sein, Mahlzeiten, Nächte, Unternehmungen und zu einem großen Teil auch die persönliche Freizeit teilen – das verändert das Beziehungsgefüge hin zu einem gemeinsamen Leben auf Zeit. Das allein ist schon eine wertvolle Erfahrung.
Die knapp zwei Wochen auf dem Kragenhof, wie sie die 8. Klassen der Engelsburg dort verbringen, haben das nach meiner Beobachtung aber noch einmal verstärkt und in besonderer Weise getan. Das war mehr als eine Klassenfahrt. Das war eine Einheit von Leben und Lernen vor und am Ort – konkret und praktisch, anschaulich und erfahrungsreich. Schon ein Brief meiner Tochter von dort kündete von Begeisterung. Selbst das frühe Aufstehen, das Übernehmen des Kochens und anderer Aufgaben – alles kein Problem, sondern selbstverständlich und ganz normaler Teil des besagten gemeinsamen Lebens.
Ich war selbst noch nicht da, sondern werde den Kragenhof erst auf dem Sommerfest der Klasse im August kennen lernen. Aber mir ist bewusst geworden, wie die gemeinsame Zeit dort ein tieferes Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Klasse gestiftet hat. Mein Eindruck ist: Unsere nunmehr jugendlichen Kinder gehen seitdem (noch) bewusster und vielleicht auch einfühlsamer miteinander um. Da ist ein echtes „Wir“ entstanden, das sich auswirkt. Auch der gemeinsame Abend der Klasse mit uns Eltern im Frühjahr, als die Produkte eines Musik- und Filmprojekts gezeigt wurden und wir miterleben durften, wie die Katastrophe in Japan mit lyrisch-literarischer Kreativität verarbeitet wurde, hat das auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Ich bin darum sehr dankbar, dass es diese Fahrt zum Kragenhof gegeben hat. Sie hat das bewirkt, was im Leben und Lernen in den Räumen der Schule bei aller Kreativität kaum zu „machen“ ist: eine echte Verbundenheit und ein Gespür füreinander und damit – pädagogisch formuliert – ein hohes Maß an Menschlichkeit und sozialer Kompetenz.
Weil es das ist, was über alles Wissen und seine fachbezogenen Anwendung hinaus Persönlichkeiten reifen lässt, gehören solche Zeiten für mich, zumal in einer christlichen Schule, unbedingt dazu. Und der Kragenhof ist, um es mit einem biblischen Wort zu sagen, so etwas wie „ein Schatz im Acker“, den sich die Engelsburg bewahren sollte. Es wäre schön und unendlich wertvoll, wenn die Erfahrungen dort zum Gemeingut aller würden.
Der Vater einer Schülerin in der Klasse 8 d